In Deutschland machen nur etwa 20 % der Menschen ein Testament. Wiederum nur ein kleiner Bruchteil von ihnen ordnet eine Testamentsvollstreckung an. Warum ist das so?
Mein Eindruck ist, dass vielen Menschen gar nicht klar ist, welche schlimmen Konsequenzen es haben kann, kein Testament zu machen, also der gesetzlichen Erbfolge freien Lauf zu lassen. Streitigkeiten sind in Erbengemeinschaften leider nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Darüber hinaus drohen der ungehinderte Zugriff von Gläubigern der Erben und hohe Steuerlasten. All das kann mit einem klug gestalteten Testament und der Anordnung einer Testamentsvollstreckung verhindert werden. Im angelsächsischen Bereich werden solche Instrumente viel häufiger angewandt. Bei uns in Deutschland muss sich das entsprechende Bewusstsein teilweise noch entwickeln.
Warum wird eigentlich so häufig um das Erbe gestritten? In intakten Familien passiert das ja wohl eher nicht.
Auch in intakten Familien kann nach einem Erbfall Streit ausbrechen. Oft eskalieren dann Konflikte, die schon jahrelang unter der Oberfläche gebrodelt haben. Selbst wenn sich die Kinder der Erblasser gut verstehen, können Schwiegerkinder einen unheilvollen Einfluss ausüben. Nicht umsonst gilt der Satz „Vertragt ihr euch noch oder habt ihr schon geerbt?“. Viele Erblasser stellen sich die Auseinandersetzung des Nachlasses auch viel zu einfach vor. Oft berichten mir Ehepaare, dass sie ihr Haus an ihre beiden Kinder vererben wollen, und ein Kind dann das andere auszahlen soll. Das klingt in der Theorie sehr schön – in der Praxis ist es eine Katastrophe. Es steht ja nicht fest, welches Kind das andere auszahlen soll. Was soll denn passieren, wenn beide Kinder das Haus wollen? Und selbst wenn feststeht, welches Kind das Haus erhält und welches Kind ausgezahlt werden soll, schließt sich sofort die Streitfrage an, wie hoch der Auszahlungsbetrag sein soll. Für Immobilien gibt es keine verbindlichen Werte, die man einfach irgendwo nachschlagen könnte. Bodenrichtwerte bieten nur sehr ungefähre Anhaltspunkte und sind in der Praxis oft keine wirkliche Hilfe. Es kann zu jahrelangen Streitigkeiten über die Höhe des Auszahlungsbetrages kommen, die schließlich vor Gericht enden.
Auch wenn kein Erbe das Haus oder die Wohnung übernehmen will, kann es zu großen Konflikten kommen. Es kann beispielsweise passieren, dass ein Miterbe die Immobilie verkaufen will, der andere jedoch dagegen ist und sie vermieten will. Selbst wenn beide Erben verkaufen wollen, wird oft darüber gestritten, wann der richtige Zeitpunkt für den Verkauf ist und wie hoch der Verkaufspreis sein soll. Es wird immer dann sehr schwierig, wenn ein Erbe deutlich andere Preisvorstellungen hat als sein Miterbe. Ich habe Fälle erlebt, in denen Erben bereits über die Frage, welcher Makler das Haus verkaufen soll, monatelang gestritten haben. In der Zwischenzeit ist das Haus sicherlich nicht besser geworden.
Wie kann eine Testamentsvollstreckung helfen?
Es gibt für die Erblasser zwei Möglichkeiten, Abhilfe zu schaffen: Sie können den Verkauf der Immobilie ganz in die Hände des Testamentsvollstreckers legen. Dieser kümmert sich dann um den gesamten Verkauf und wickelt ihn für die Erben ordnungsgemäß und rechtssicher ab. Oder sie können im Testament festlegen, dass der Testamentsvollstrecker das Haus nicht verkaufen soll, sondern nur die Höhe der Ausgleichszahlung festlegen soll, wenn ein Erbe die Immobilie von dem anderen vollständig übernimmt. Jeder Streit zwischen den Erben wird damit vollständig ausgeschlossen.
Das hört sich vernünftig an. Und wen soll man dann als Testamentsvollstrecker einsetzen? Naheliegend ist ja, Verwandte oder gute Freunde zu nehmen, die die Erben bereits kennen.
Theoretisch ist das möglich. Tatsächlich ist es aber ein gewaltiger Fehler! Testamentsvollstreckung ist alles andere als unkompliziert. Der Testamentsvollstrecker muss zahlreiche juristische, praktische und steuerliche Probleme lösen. Juristische Laien sind davon oft deutlich überfordert. Meine Erfahrung ist: Verwandte und Freunde der Familie, die als Testamentsvollstrecker eingesetzt werden, beginnen oft voller Elan und Optimismus ihr Amt. Nach einigen Wochen bemerken sie aber, wie kompliziert und schwierig alles ist, und möchten das Amt am liebsten wieder abgeben. Dann ist aber oft eine große Streitfrage, was nun mit der angeordneten Testamentsvollstreckung geschieht: Entfällt sie ersatzlos oder soll sie durch einen anderen Testamentsvollstrecker weitergeführt werden? Wenn ja, durch wen? Im Ergebnis werden Freunde und Verwandte, die als Testamentsvollstrecker berufen sind, das Amt zwar übernehmen und durchführen, sie sind jedoch alles andere als glücklich dabei. Darüber hinaus haftet der Testamentsvollstrecker für jeden möglichen Fehler und für die gesamte Erbschaftsteuer mit seinem eigenen Vermögen. Er sollte also mindestens eine gute Haftpflichtversicherung abschließen, wenn er das Amt übernimmt.
Deutlich besser ist es daher, einen Spezialisten mit der Testamentsvollstreckung zu betrauen.
Was halten Sie von der Idee, einen Miterben zum Testamentsvollstrecker zu machen, also beispielsweise alle Kinder als Erben zu berufen und die älterste Tochter als Testamentsvollstreckerin?
Davon halte ich überhaupt nichts. Ein Testamentsvollstrecker kann sein Amt nur ordnungsgemäß ausüben, wenn er unparteiisch und unabhängig ist. Bei einem Testamentsvollstrecker, der zugleich Miterbe ist, kann das gar nicht der Fall sein, weil er bei der Verteilung des Nachlasses ja auch sich selbst bedenken muss. Ich rate daher dringend davon ab.
Wenn man nicht Familienmitglieder oder Freunde als Erben beruft, sondern gemeinnützige Organisationen einsetzt, dürfte die Abwicklung des Nachlasses doch deutlich einfacher sein, oder? Streit zwischen den Organisationen wird ja sicherlich nicht entstehen.
Ganz im Gegenteil! So wichtig und unterstützenswert die Arbeit gemeinnütziger Organisationen und Stiftungen ist, so engagiert nehmen diese Organisationen ihre Interessen in Bezug auf den Nachlass wahr. Hier gilt der alte Satz: Beim Geld hört die Freundschaft auf. Gerade wenn gemeinnützige Organisationen und Stiftungen als Erben berufen werden, empfehle ich dringend die Einsetzung eines Testamentsvollstreckers, um Streitigkeiten zu vermeiden.
Wie muss man sich die Arbeit eines Testamentsvollstreckers praktisch vorstellen? Haben Sie einen eigenen Lastwagen, mit dem Sie die Räumung und Entrümpelung von Wohnungen durchführen? Und Sie können doch unmöglich die Immobilienpreise in jeder Stadt in Deutschland im Kopf haben?
Natürlich nicht. Als Testamentsvollstrecker liegt meine Aufgabe vor allem in der ordnungsgemäßen Organisation und Koordination. Für die Räumung von Wohnungen beauftrage ich beispielsweise zuverlässige Unternehmen vor Ort. Mir ist wichtig, dass mit dem Nachlass respektvoll umgegangen wird. Ich finde es immer schlimm, wenn bei der Räumung eines Hauses die Möbel und die sonstigen, teilweise sehr privaten Gegenstände des Erblassers einfach auf die Straße geworfen werden. Das kann und muss man anders machen!
Für die Bewertung und den Verkauf von Immobilien arbeite ich mit spezialisierten vertrauenswürdigen Maklern vor Ort zusammen. Es ist sehr hilfreich, wenn man da ein gutes Netzwerk hat.
Erlebt man als Testamentsvollstrecker auch Überraschungen?
Oh ja! Jede Testamentsvollstreckung ist anders – und man weiß nie, was auf einen zukommt und wie sich die Dinge entwickeln. In einem Fall, in dem ich als Testamentsvollstrecker berufen worden bin, sah der Nachlass zuerst ganz übersichtlich aus – der Erblasser hinterließ eine sauber aufgeräumte Eigentumswohnung und etwas Kapital auf einem Konto bei der örtlichen Sparkasse. Im Rahmen der Testamentsvollstreckung habe ich dann festgestellt, dass wenige Wochen vor dem Tod des Erblassers eine sehr weit entfernte Verwandte von ihm ohne Hinterlassung eines Testaments verstorben war. Die entfernte Verwandte war Eigentümerin mehrerer teurer Immobilien gewesen. Weil sie kein Testament hatte, trat gesetzliche Erbfolge ein, und es bildete sich eine riesige Erbengemeinschaft mit mehr als 50 Personen, darunter der Erblasser. Ich musste dann an der Auseinandersetzung dieser sehr großen Erbengemeinschaft mitwirken. Das war dann natürlich schon etwas anspruchsvoller.
In einem anderen Fall hatte der Erblasser sein Vermögen an eine Naturschutzorganisation hinterlassen und angeordnet, dass es ausschließlich für das Wohl von Hühnern, Enten und Gänsen eingesetzt werden sollte. Ich habe mir dann erst einmal ein Buch über Ornithologie gekauft (lacht). Im Ergebnis habe ich dann mit der Naturschutzorganisation lange verhandelt, bis wirklich zu meiner Überzeugung sichergestellt war, dass das Vermögen ausschließlich für den vom Erblasser gewollten Zweck verwendet wurde und nicht im allgemeinen Haushalt der Organisation verschwand. Wir haben gemeinsam ein sehr gutes Projekt an der Nordsee gefunden, in dem für den Schutz der dort lebenden Hühner, Enten und Gänse gesorgt wird. Es war ein sehr schönes Gefühl, den Überweisungsträger an die Naturschutzorganisation zu unterzeichnen!
Haben Sie schon einmal bedauert, eine Testamentsvollstreckung übernommen zu haben?
Es gibt Fälle, die entwickeln sich so umfangreich und in denen gibt es so viele juristische und sonstige Probleme zu lösen, dass die Arbeit nicht nur Freude macht. Die Erblasser unterschätzen auch oft, wie schwierig und umfangreich so eine Testamentsvollstreckung werden kann. Ich habe mich aber immer dem Willen des Erblassers verpflichtet gefühlt und die Testamentsvollstreckung ordnungsgemäß zu Ende gebracht. Wenn Sie dazu nicht bereit sind, sollten Sie nicht Testamentsvollstrecker werden.