Wann braucht man ein Behindertentestament?
Wenn ein Erbe aufgrund einer Krankheit oder Behinderung dauerhaft auf Sozialleistungen angewiesen ist, greift der Sozialleistungsträger, wenn der Erbfall eintritt, in voller Höhe auf das ererbte Vermögen zu. Er leitet die Erbansprüche des Behinderten und dessen Pflichtteilsansprüche auf sich über und stellt sämtliche Sozialleistungen ein. Gegebenenfalls kann der Sozialleistungsträger auch Regress für die in den Jahren vor dem Eintritt des Erbfalls geleisteten Sozialleistungen verlangen.
Im Ergebnis fallen in einem solchen Fall das gesamte Erbe bzw. der gesamte Pflichtteil an den Staat, ohne dass der behinderte Mensch etwas davon hat.
Dies kann nur mit einem Behindertentestament vermieden werden. Kernstück eines Behindertentestaments ist die Anordnung einer Dauertestamentsvollstreckung. Diese führt dazu, dass das ererbte Vermögen, das der Testamentsvollstrecker verwaltet, dauerhaft dem Zugriff der Gläubiger des behinderten Menschen, also vor allem des Sozialamtes, entzogen ist. Zugleich müssen in den Testament Anweisungen für den Testamentsvollstrecker enthalten sein, wie er bei der Verwaltung des Vermögens zu verfahren hat, damit eine optimale Versorgung des behinderten Menschen sichergestellt ist.
Beispiel:
Angelika aus München ist verwitwet. Sie hat zwei Kinder, Rolf und Barbara. Rolf ist seit seiner Geburt geistig behindert und lebt in einer beschützenden Einrichtung. Sämtliche Kosten der Einrichtung werden durch den Sozialhilfeträger getragen. Die größte Freude für Rolf sind Zoobesuche, für die er jedes Mal eine Begleitperson benötigt.
Angelika sollte, um den Zugriff des Sozialhilfeträgers auf das an Rolf vererbte Vermögen zu verhindern, in ihrem Testament eine Testamentsvollstreckung anordnen. In dem Testament sollten auch Anweisungen für den Testamentsvollstrecker enthalten sein, in welcher Weise er für Rolf sorgen soll. Da das Testament bis zum Ableben von Rolf, der seine Mutter möglicherweise um mehrere Jahrzehnte überleben wird, vernünftige Wirkungen entfalten soll, muss es einigermaßen offen formuliert sein. Zugleich muss sichergestellt werden, dass die individuellen Bedürfnisse von Rolf optimal erfüllt werden.
Angelika könnte beispielsweise folgendes Testament verfassen:
„Ich berufe meine Kinder Rolf und Barbara als Erben je zur Hälfte. Rolf ist als befreiter Vorerbe berufen. Nacherbin ist unsere Tochter Barbara, ersatzweise deren Abkömmlinge. Der Nacherbfall tritt mit dem Ableben von Rolf ein. Hinsichtlich des Erbteils von Rolf ordne ich Dauertestamentsvollstreckung an.
Der Testamentsvollstrecker wird angewiesen, das Vermögen zu verwalten und aus dem Bestand und den Erträgen des Erbteils von Rolf diejenigen Zuwendungen an Rolf zu leisten, die zur Verbesserung der Lebensqualität beitragen, aber nach dem Sozialhilferecht nicht dem Zugriff des Sozialhilfeträgers unterliegen und nicht auf gewährte Hilfeleistungen anzurechnen sind und dies nicht eine Beschränkung der Sozialhilfe auf das für den Erben Unerlässliche (§ 26 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII) verursacht.
Der Testamentsvollstrecker soll insbesondere folgende Zuwendungen machen:
- Überlassung von Geldbeträgen in Höhe des jeweiligen Rahmens, der nach den einschlägigen Bestimmungen einem Behinderten maximal zur freien Verfügung stehen kann;
- angemessene Geschenke zu Feiertagen und besonderen Anlässen, insbesondere Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke oder Geschenke bei anderen Gelegenheiten, die durch Sitte und Anstand geboten sind; bei der Auswahl der Geschenke ist auf die Bedürfnisse und Wünsche von Rolf einzugehen;
- Finanzierung regelmäßiger Zoobesuche einschließlich der Kosten für eine Begleitperson;
- Zuschüsse zur Finanzierung eines Urlaubes oder zur Urlaubsgestaltung sowie von Kuraufenthalten und Besuchsfahrten, einschließlich der Kosten für notwendige Betreuungs-/Begleitpersonen;
- Finanzierung von Gegenständen zur Befriedigung von Bedürfnissen bei der Freizeitgestaltung, auch Hobbies und Liebhabereien, sowie der Zimmer- bzw. Wohnungseinrichtung und des persönlichen Bedarfes, z.B. Kleidung, soweit deren Besitz nicht Luxus ist;
- Finanzierung eines etwa nötig werdenden Aufgeldes für ein Einzelzimmer, soweit es der Gesundheitszustand von Rolf erfordert und oder vom Testamentsvollstrecker für sinnvoll erachtet wird;
- Finanzierung eines eventuell nötig werdenden Betreuers oder Pflegers, nicht jedoch die Gebühren eines durch das Betreuungsgericht bestellten Betreuers.
Die Mittel sollen nur für das persönliche Wohl und für die persönlichen Bedürfnisse entsprechend dem Grad der Behinderung und den Wünschen von Rolf verwendet werden.
Der Testamentsvollstrecker hat bei der Entscheidung über Art, Höhe und Zeitpunkt von Zuwendungen eine umfassende Einschätzungs- und Entscheidungsbefugnis, soweit gesetzlich möglich.“
Achtung!
Wir haben hier nur ein mögliches Beispiel für ein Behindertentestament dargestellt. Jedes Behindertentestament muss individuell gestaltet werden, um die spezifischen Bedürfnisse des behinderten Menschen optimal befriedigen zu können.